Mommsen-Blog
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- 11. Wie roch die Antike? – Versuch einer Rekonstruktion der antiken GeruchsweltDez 14Mittwoch, 14. Dezember 2022 21:00
Justine Diemke, Hamburg
Wollten Sie schon immer wissen, welche Gerüche den Menschen bei einem Spaziergang im alten Athen oder Rom in die Nase stiegen? In der antiken Literatur findet sich eine Fülle an Geruchsbeschreibungen, die von Körpergerüchen unterschiedlicher sozialer Gruppen bis zu Gerüchen im urbanen Raum reichen. So wurden auch Thermen, Theaterbauten, Versammlungsorte und Bibliotheken parfümiert, um dem Besucher den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber nicht nur an öffentlichen Plätzen, sondern auch in den eigenen vier Wänden wurden die Nasen mit Duftstoffen verwöhnt, indem sogar Haustiere und Textilien mit Duftstoffen besprüht wurden. Der Geruch fungierte in der Antike als wesentliches Distinktionsmerkmal zwischen sozialen Gruppen. Schlechte Gerüche waren häufiger mit einem niedrigen Sozialstatus, Frauen oder bestimmten Berufsgruppen, etwa der Gerberei, verbunden. In der Antike ließ der Geruch eines Menschen nicht nur Rückschlüsse auf seinen Charakter zu, sondern wurde auch mit einem ungesunden Lebensstil wie einem übermäßigen Weinkonsum oder der Völlerei assoziiert. So galten stark parfümierte Herrscher, insbesondere die mali principes oder Tyrannen, als verweichlicht und dekadent. Solange Duftstoffe in Maßen verwendet wurden, fungierten sie als Prestigeobjekt der Nobilität und waren Zeichen der sozialen Zugehörigkeit. Schlechte Gerüche hingegen galten in der Antike als ansteckend, weshalb die Desodorierung im sepulkralen Kontext sowie auf dem Schlachtfeld eine reine Schutzfunktion erhielt.Die Untersuchung von Gerüchen lässt sich unter das Forschungsfeld der sensory studies subsumieren, das in der letzten Dekade im Rahmen des neuen sensory turn eine Konjunktur erlebt. Obwohl die Beschäftigung mit dem Geruch als kulturelles und historisches Phänomen einen reichen Erkenntnisgewinn verspricht, stellen gerade olfaktorische Studien, was nicht zuletzt den wenigen Geruchsreferenzen in den schriftlichen Quellen geschuldet bleibt, nach wie vor eine Leerstelle dar. Im Rahmen eines interdisziplinären Drittmittelprojektes wurde daher versucht, sich der antiken Geruchswelt nicht allein auf Basis schriftlicher Quellen, sondern mithilfe experimenteller Methoden anzunähern. Ziel des Projektes war es, die antike Geruchswelt erfahrbarer zu machen, indem einzelne Duftstoffe mithilfe moderner Verfahrensweisen rekonstruiert wurden.
Als wichtige Quelle für die Parfümherstellung diente das Werk De materia medica von Pedanios Dioskurides (1. Jh. n. Chr.), der in seinem ersten Buch verschiedene Gewürze, Kräuter, Öle, Salben und Pflanzensäfte beschreibt. Anders als bei Plinius und Theophrast, die in ihren Traktaten die gleichen Duftöle thematisieren, enthalten Dioskurides‘ Schriften zusätzliche Informationen zu den Mengenangaben der Ingredienzien. Dass sich derartige Rezepte von Duftstoffen ausgerechnet in medizinischen Traktaten finden, ist kein Zufall, sondern ihrer therapeutischen Funktion geschuldet. Nach Dioskurides wurden Duftstoffe nicht nur auf die Haut aufgetragen, sondern auch in Salben gemischt oder als Arzneimittel gegen bestimmte Krankheiten eingenommen.
Besonders problematisch erwiesen sich die Übersetzungen einzelner Pflanzenarten und Gewürze, deren Identifizierung nicht immer eindeutig war und daher viel Raum für Diskussionen offenließ. Gemeinsam mit den Chemikern, die an dem Projekt mitwirkten, wurden daher mögliche Ideen und Lösungsvorschläge für die Rezepterstellung ventiliert. Ferner können wir nicht ausschließen, dass bestimmte Informationen und Herstellungsschritte, die für den Leser vielleicht selbstverständlich waren, nicht in die Beschreibung inkludiert wurden. Aus diesem Grund können wir uns zwar der „realen“ Geruchswelt der Antike annähern, dieser allerdings aufgrund der defizitären und disparaten Beschreibungen der Duftstoffe nicht ganz gerecht werden.
Nach der Erschließung aller Herstellungsschritte wurden die Duftstoffe in kleinen Gruppen hergestellt. Zum beliebtesten und wahrscheinlich teuersten Parfüm in der Antike gehörte das Rosenöl, das sogenannte Rhodinon. Das Rosenöl findet in der antiken Literatur vielfach Erwähnung (O.Claud. 1.171.3-7; P. Petr. 2.34b) und ist bereits in der Ilias attestiert (Hom.II.186-187). In den Quellen wird immer wieder der monetäre Wert des Parfüms unterstrichen. So erfahren wir in einem privaten Brief auf einem Ostrakon aus dem 1. Jh. n. Chr., dass der Adressant Opfer eines Raubüberfalls geworden ist (O. Claud. 1 171):
Μενέλαος Μενελάῳχ(αίρειν).καλῶς ποιήσις(*), ἐρωτῶσ̣ε, ἐπὶ(*) διεπάγη(*) μοι ῥώ-5 δινον(*), καλο͂ς(*) ποιήσις(*) πέμψαςμοι τὸ λοικυθιν(*), ἐπὶ(*) οὐχ εὗρω\ν/(*)ἐνθάδε ἀγοράσαι.δώσις(*) δὲ το(*) κομί-ζωντί(*) σοι τὴν10 ἐπισστολήν(*).Menelaus bittet seinen gleichnamigen Freund um Zusendung des Rhodinions (ῥώδινον πέμψας), da ihm sein Parfümfläschchen (μοι τὸ λοικυθιν) gestohlen wurde und er vor Ort kein neues erwerben kann. Das Rosenöl wird Menelaus wahrscheinlich als Art Sonnenschutz auf seiner Reise durch die Wüste dringend gebraucht haben. Dem Rosenöl wird neben einer kühlenden Wirkung auch eine kurative Funktion zugeschrieben, was auf einen multifunktionalen Einsatz des Parfüms schließen lässt.
Zu den Originalmengen des Rhodinon gehören (Theophr. od. X. 45; Diosk. I, 43):- 2,494 kg (5 Liter) Öl aus Zitronengras (Cymbopogon schoenanthus)
- 9,220 kg (21 Liter) grünes Olivenöl (Omphakinon)
- 1000 Rosenblätter (Rosa centifolia)
- Kalmus (Acorus calamus)
- Honig, Salz, Schminkwurz
Bei den Mengenangaben handelt es sich Massenherstellungen, weswegen die Angaben entsprechend reduziert wurden. Auf Schminkwurz musste verzichtet werden, da der Rohstoff als Gefahrstoff deklariert ist. Im ersten Schritt wurde 5 g Zitronengras zerkleinert (Abb. 1) und in 50 ml demineralisiertem Wasser eingeweicht. Anschließend wurde 25 g Olivenöl hinzugegeben (Abb. 2). Daraufhin wurde die Mischung bis zum sanften Sieden erhitzt (Abb. 3). Anschließend musste die Mischung abkühlen und im Scheidetrichter abfiltriert werden. Mithilfe des Scheidetrichters wurde das Wasser von dem Öl getrennt. Das Öl wurde in eine mit Honig bestrichene Petrischale gegossen und es wurden 25 trockene Rosenblätter hineingegeben (Abb. 4). Nach dem Rühren wurde das Gemisch über Nacht eingeweicht. Nachdem sich das Sediment abgesetzt hat, wurde das Öl in ein kleines Gläschen filtriert (Abb. 5). Zum Schluss blieb nur noch die Beschriftung der Duftstoffe.